Presse
Hier werden Presseartikel sowie Pressemitteilungen zum Thema: Zug der Erinnerung veröffentlicht.
taz 29.01.08
Versteckt im Keller
Nach langem Zögern macht die Bahn eine Ausstellung über ihre Nazivergangenheit. Aber wie findet man
sie?
Am Potsdamer Platz gibt es etwas Wichtiges zu sehen - aber es ist ziemlich schwer zu finden: In der
unterirdischen Passarelle, dem Zwischengeschoss zwischen Bahnsteigen und Potsdamer Platz, am Ausgang zum
unterirdischen Gang zu den Arkaden wurde am vergangenen Mittwoch die Ausstellung "Sonderzüge in den Tod"
eröffnet.
Auf 38 Tafeln berichtet die Bahn AG über die Beteiligung der Reichsbahn, ihrer Vorgängerin, an dem von der
NS-Regierung durchgeführten Genozid an den europäischen Juden. Die Ausstellung erinnert mit Fotos,
Kurzbiografien, Briefen und aufgezeichneten Zeitzeugeninterviews an das Schicksal von etwa drei Millionen
Menschen, die in der Nazizeit per Bahn in die Konzentrations- und Vernichtungslager im besetzten Polen
gebracht wurden. Sie basiert auf einer Ausstellung von Beate Klarsfeld, die in Frankreich in wichtigen
großstädtischen Bahnhöfen mit Unterstützung der SNCF, der französischen Staatsbahn, gezeigt wurde.
Zu sehen sind zum einen die Opfer: vor allem Kinder, deren Eltern aus Deutschland ins Ausland geflüchtet
waren, die von dort nach der Besetzung Frankreichs zur Vernichtung in die Mordstätten in Osteuropa
transportiert wurden.
Und man sieht die dafür Verantwortlichen im Reichsverkehrsministerium. Alle ihre Karrieren enden mit
Kriegsende, jedenfalls auf den Tafeln. Das suggeriert, mit der bedingungslosen Kapitulation hätten alle
Verbrechen ihr Ende gefunden, die Massenmörder am Schreibtisch seien zur Rechenschaft gezogen worden.
Doch weit gefehlt. Von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, setzten die Verbrecher ihre Karrieren
im Nachkriegsdeutschland als unbescholtene Ehrenmänner bis zur normalen Pensionierung fort.
Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte sich gegen die Ausstellung gesträubt, so wie er sich auch bis heute
weigert, auf den Bahnhöfen Tafeln über die dort begangenen Deportations- und anderen Verbrechen
zuzulassen. Verständlicherweise war er daher auch verhindert, an der Eröffnung der ihm oktroyierten
Ausstellung teilzunehmen. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee jedoch und Susanne Kill, die
Haus-Historikerin der Bahn, sowie Beate Klarsfeld erschienen. Klarsfeld sagte, durch die Ausstellung
seien die Kinder "aus der Nacht des Vergessens ans Tageslicht zurückgekehrt". Die Präsidentin des
Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, dankte Klarsfeld für ihr "couragiertes
Engagement". Ausstellungen wie diese könnten auch dann noch historische Aufklärung leisten, wenn es
keine Überlebenden mehr gebe.
Traurig nur: Auf dem Potsdamer Platz gibt es bisher keine Plakate, die auf die Ausstellung aufmerksam
machen, selbst in der Passarelle finden sich keine Hinweisschilder. Und auf Fragen nach der Ausstellung
konnten die Verkäufer in den dortigen Geschäften keine Auskunft geben. Sie waren nicht einmal durch
Flugblätter auf die Ausstellung hingewiesen worden.
REINHARD STRECKER
Ausstellung "Sonderzüge in den Tod", Potsdamer Platz, bis 11. Februar
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